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Was ist Multiple Sklerose?

Dr. Pöhlau

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische, entzündliche Erkrankung von Gehirn und Rückenmark. Nach neuesten Zahlen sind wohl mehr als 230.000 Menschen in Deutschland betroffen, die meisten sind Frauen. Die Erkrankung beginnt meist im frühen Erwachsenenalter, d.h. in der Zeit des beruflichen und familiären Aufbaues. Glücklicherweise normalisiert sich die Lebenserwartung von MS-Betroffenen. Man geht heute davon aus, dass die MS eine sog. Autoimmunerkrankung ist. Bei diesen Erkrankungen greift das Immunsystem fälschlicherweise körpereigenes Gewebe an, im Falle der MS Bestandteile von Gehirn und Rückenmark, dort vor allem das sog. "Myelin", die Isolierung der "Kabel" (sog. Axone), entlang derer die elektrischen Impulse laufen. Diese Schäden treten an verschiedenen Stellen im Zentralenervensystem ("multipel") auf. Nach dem Abklingen der Entzündung bleiben oft Herde zurück, die weniger weich als das umliegende Gewebe sind ("sklerotisch").   Zum Teil können die eingetretenen Schäden durch Neubildung der Isolierung (Remyelinisierung) wieder gebessert werden, aber es gehen auch von Anfang an Kabel, Axone kaputt und dieser Axonuntergang ist irreversibel. Für die Entstehung spielen neben genetischen auch Umweltfaktoren eine Rolle.   

Symptome 
Bei ca. 90% aller Betroffenen beginnt die Erkrankung mit plötzlich auftretenden neurologischen Störungen, sog. Schüben. Ein solcher Schub kann einige Wochen dauern und bildet sich oft wieder weitgehend zurück. Bei ca. 10% der Betroffenen beginnt die Erkrankung von Anfang an schleichend ("primär chronisch progredient"). Es können Lähmung oder Steifigkeit von Muskeln ("Spastizität") auftreten, Seh- und Gefühlsstörungen, Beeinträchtigung des Tastsinnes, Gleichgewichtsstörungen,  Müdigkeit und Energieverlust. Wenn entsprechende Nervenbahnen betroffen sind, dann kann es auch zu Gedächtnisstörungen kommen. Blasen und Sexualfunktionsstörungen sind ebenso möglich wie Schmerzen durch Fehlbelastung des Skelettsystems oder durch Beteiligung der Gesichtsnerven.  
 
Diagnosestellung
Die Diagnose MS kann nur dann gestellt werden, wenn verschiedene Bausteine zusammenpassen: Die Befragung des Patienten ("Anamnese") ergibt neurologische Ausfälle, im Kernspintomogramm des Schädels und/oder des Rückenmarkes finden sich meist mehrere Herde, im Nervenwasser eine Entzündung, in sog. Evozierten Potentialen, mit denen Nervenfasern untersucht werden können, stellen sich Leitungsverzögerungen dar. Andere Erkrankungen müssen ausgeschlossen werden.  
 
Therapie 
Die MS ist zwar zurzeit noch nicht heilbar, aber immer besser behandelbar. Nach neuen Erkenntnissen soll frühzeitig mit einer Dauertherapie begonnen werden. Da von Anfang an Axone und davon abhängige Nervenzellen untergehen, ist ein früher öfter praktiziertes Abwarten heute kaum mehr zu vertreten. Es konnte gezeigt werden, dass durch eine Frühtherapie mit Interferon beta oder Glatirameracetat bereits nach dem ersten Schub das Auftreten des zweiten Schubes hinausgezögert werden kann.
 
Der akute Schub sollte schnellstmöglich aber nur kurz mit hochdosiertem Kortison behandelt werden. Eine Kortison-Dauertherapie ist wegen der Nebenwirkungen zu vermeiden. Zur Therapie der schubförmigen MS stehen vor allem fünf Beta-Interferone (IFN) und Glatiramaeracetat (GLAT) sowie die oralen Medikamente Teriflunomid und Fumarsäure zur Verfügung. Natalizumab oder Alemtuzumab kann bei Therapieversagen von IFN oder GLAT und bei akuten MS-Verläufen eingesetzt werden. Bei schnell fortschreitender MS ist Mitoxantron  ein wirksames Medikament, das ebenso wie Interferon beta 1b auch bei sekundär chronisch progredienter MS zugelassen ist. Alemtuzumab konnte in klinischen Studien eine sehr gute Wirkung zeigen, es wird durch Infusion verabreicht, allerdings erhöht sich das Risiko für andere Autoimmunkrankheiten.  
Ocrelizumab ist bei der schubförmigen MS wirksam. Auch bei der primär chronisch progredienten Verlaufsform (PPMS) konnte eine gewisse Wirksamkeit gezeigt werden. Es ist für Patienten mit früher PPMS sinnvoll, die Entzündungsaktivität haben. Intravenöse Immunglobuline und Azathioprin werden nur noch selten eingesetzt. Alle neuen MS-Medikamente bedürfen einer intensiven Überwachung nach Absprache mit dem Neurologen. Bei Herden im Rückenmark kommt eine sog. intrathekale Therapie in Frage, bei der ein Kortison-Medikament direkt in das Nervenwasser gespritzt wird.
  
Eine Konsensuskommision der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) und das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) erarbeiten gemeinsam laufend aktualisierte Richtlinien zur Therapie der MS. Auch Symptome der MS wie Spastizität, Gangstörungen, Blasenstörungen und Schmerzen können behandelt werden. Ein neues Mundspray auf Cannabisbasis nutzt oft bei schwerer Spastik, durch Fampridin kann bei ca. 35 % der MS-Betroffenen das Gehvermögen verbessert werden.  Oft ergänzen sich medikamentöse Therapien, Krankengymnastik, Ergotherapie, Elektrotherapie, Sprech-, Atem- und Schlucktherapie sowie gegebenenfalls Entspannungstherapien im Sinne einer umfassenden "ganzheitlichen" Behandlung.  
Immer wieder werden auch "Wundermittel" und "Wunderheilungen" angeboten, die meist sehr teuer und oft auch gefährlich sind. Hier sollte immer ein Experte gefragt werden. Schwerpunktpraxen und MS-Spezialkliniken, MS-Ambulanzen und die DMSG können diesbezüglich beraten. Die Lebensqualität hängt auch von der seelischen Krankheitsverarbeitung und vom familiären und sozialen Umfeld ab. Die DMSG bietet Hilfen, Kurse und berät.  
  
Dr. med. Dieter Pöhlau 
Chefarzt der Neurologischen Klinik mit dem Schwerpunkt Multiple Sklerose an der Kamillus-Klinik in Asbach (Westerwald) Vorsitzender des ärztlichen Beirates der DMSG Rheinland-Pfalz  
Stellvertretender Bundesvorsitzender der DMSG
Landesvorsitzender der DMSG Nordrhein-Westfalen Mitglied im bundesärztlichen Beirat der DMSG und damit der MS-Therapie Konsensuskomission (MSTKG) 
März 2018 
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